Aus dem Regal: Katyn*

Day 659, 04:00 Published in Germany Germany by Herr Schmidt

Verehrte Leserinnen und Leser,
mit dem folgenden Artikel betrete ich persönliches Neuland. Im Rahmen dieser Rubrik möchte ich mich an Kritiken versuchen. Natürlich hat es herzlich wenig mit der neuen Welt zu tun und einige könnten und werde es sicherlich für Spam halten. Nichtdestotrotz werde ich versuchen in unregelmäßigen Abständen, vorzugsweise aber Mittwoch Ihnen ein wenig (in meinen Augen) Kultur vorzustellen.


Pünktlich zum 70. Jahrestag des Russischen Einmarsches in Ostpolen, aber mit einer Zweijährigen Verspätung wird in den deutschen Kinos Andrzej Wajdas Katyń anlaufen.
Bereits vor zwei Jahren wurde in der rPresse über diesen Film berichtet. Heute möchte ich mich, da ich den Film seit mehr als 18 Monaten auf DVD besitze, an Ihm versuchen.

Katyń ist eine der offenen geschichtlichen Wunden aus der noch nicht so alten Geschichte Polens. Einerseits wurde dieses Thema während der Zeit der Volksrepublik in der Öffentlichkeit still geschwiegen. Andererseits versuchte man, vor allem während der stalinistischen Ära (in Polen bis Mitte 1956) dieses Verbrechen den Deutschen unterzuschieben. Wajda, dessen Vater im Lager Kozielsk festgesetzt war und dessen Leiche nicht identifiziert werden konnte, hatte mit diesem Film wohl ein sehr persönliches Anliegen, das überwinden eines Traumas, sowohl eines persönlichen wie auch eines nationalen.

Der Film basiert auf dem Buch Post Mortem von Andrzej Mularczyk, der zusammen mit Wajda selbst, sowie mit Przemysław Nowakowski und Władysław Pasikowski das Drehbuch verfasste.
Vordergründig werden zwei Handlungsstränge gezeigt, das Leben der gefangenen Offiziere im Lager Kozielsk und das Ihrer Familien im besetzten und anschließend im stalinistischen Polen. Während das Lagerleben in kurzen Episoden gezeigt wird, konzentriert sich der Film auf das Leben der Daheimgebliebenen. Die persönlichen Schicksale der Familien werden in geschichtliche Ereignisse eingebunden, wie die Sonderaktion Krakau, die Entdeckung der Massengräber in Katyń durch die Wehrmacht 1943, und die erste Amnestie in der zweiten Hälfte des Jahres 1945. Die einzelnen Figuren werden eher lose miteinander Verbunden, Sie begegnen Sich ohne zu wissen daß Sie das Schicksal als Hinterbliebene der ermordeten Offiziere teilen. Die in meinen Augen interessanteste Figur des Filmes ist gleichzeitig das Bindeglied der beiden Handlungsstränge. Olt/ Maj Jerzy wird 1939 mit seinem Ulanenregiment von den Russen gefangen genommen und ins Lager Kozielsk gebracht. Sein Name taucht 1943 auf der von den Deutschen veröffentlichten Liste der identifizierten Offiziere auf. 1945 kommt er, als Major der polnischen Volksarmee nach Krakau um der Ehefrau seines Freunden und Vorgesetzten von dessen Tot zu berichten. In Ihm spiegelt sich das Dilemma aber auch die Ambivalenz der Geschichte und der Geschichtsschreibung Polens wieder.
Trotz der guten schauspielerischen Leistungen, einer guten Drehbuchvorlage, der eindrucksvollen Bilder von Paweł Edelman und vieler gute Einzellszenen möchte es dem Film nicht gelingen an Profil zu gewinnen. Die Geschichte scheint (für mich!) nur ein grob gehaltener Rahmen für die letzten 20 Minuten des Filmes zu sein, die Morde an den gefangenen Offizieren. In dieser Zeit stellt Wajda in einer eindrucksvollen Choreografie das systematische, fast schon mechanisch ablaufende Morden der polnischen Offiziere durch den NKWD da. Die Mörder haben bei Wajda keine Namen, keine Stimme, Sie werden als schlechtrasierte Halbgesichter unter den dunkelblauen Schirmmützen des NKWD dargestellt, die methodisch, nach jedem Schuß die P 38 wechselnd Ihren Auftrag durchführen.
Diese Darstellung ist es auch die mir an diesen 20 Minuten, trotz meiner Herkunft ein wenig aufstößt. In keinen mir bekannten Film wurden die Deutschen, die vor 1990 der „Hauptfeind“ waren so entmenschlicht dargestellt worden. In Schindlers Liste hatte das „Böse“ einen Namen, eine Stimme und ein Gesicht in der Person des Lagerkommendanten Amon Göth. Bei Wajda ist stellen die frisch gefüllten Massengräben das Gesicht, die Baggermotoren und die Schüsse der Pistolen die Stimmen dar. Und der Name des „Bösen“ lautet einfach Katyń.

Der Film ist trotz der Aufwendigen Umsetzung und der Oscar-Nominierung weniger für ein Ausländisches Publikum gemacht. Der Zuschauer sollte ein Grundwissen über die neuere Geschichte Polens und ein Verständnis für die polnischen Verhältnisse mitbringen um diesen Film etwas mehr als die gute Musik, die Kameraführung und die allgemeine darstellerischen Leistung abgewinnen zu können. Wajda scheint diesen Film in erster Linie für sich selbst gedreht zu haben und dann erst für das Publikum. Sollte man die oben genannten Voraussetzungen erfüllen, bekommt man mehr als nur eine technisch opulente Produktion, die in Fragen Bild-, Ton- und Schauspielerqualität den Vergleich mit anderen europäischen Filmen nicht scheuen muß.

Leider ist die literarische Vorlage des Filmes nur in Polnisch erschienen. Mularczyks Buch behandelt das Schicksal der Offiziere nur anhand von Einträgen in ein Tagebuch das bei einer der Leichen gefunden wurde (es handelt sich um weitgehend authentische Tagebuchfragmente). Das Hauptmotiv des Buches ist in der Gegenwart angesiedelt. Es ist die Reise einer älteren Archäologin und Tochter eines der Offiziere zu den Gräbern von Katyń. Diese Reise wird mit Erinnerungen an die Kindheit und Jugend der Frau vermengt.
Es ist schwer zu sagen ob eine direktere Umsetzung des Buches einen besseren Film ergeben hätte. Vielleicht wäre dabei ein weniger opulentes und persönliches, dafür für ein breiteres Publikum zugänglicheres Werk entstanden.

* Makabererweise beinhaltet der Name Katyń das polnische Wort für Hencker, Kat.