Staub und Schatten

Day 726, 14:36 Published in Germany Germany by Iseutz

In der Folge des gestrigen Artikels zum Thema Paramilitär gab es wieder eine schöne Diskussion innerhalb der Kommentare. Es zeigt sich immer wieder aufs Neue, daß die Links-Rechs-Einordnung von politischen Gruppen nach wie vor unvermeidlich ist. Darüber gab und gibt es oftmals - lustigerweise von allen Seiten - genervte Äußerungen mit dem Tenor, man solle dieses Denken doch bitte endlich überwinden.
Das führende 'Argument' lautet dabei, daß es hier doch alles nur ein Spiel sei. Auch die übliche Rezeption in den Artikeln der Vergangenheit (ich habe gestern noch ein bißchen rumgestöbert 😁) geht in diese Richtung. Links und Rechts seien als Kategorien überflüssig und man solle sich auf Wichtigeres beschränken.

Ich hoffe, es überrascht niemanden mehr, wenn ich mich nun weigere, ebenfalls einen solchen Artikel zu schreiben. Denn das Gezerre mag nervig sein und gelegentlich ausarten, aber letztlich ist die Spannung zwischen diesen zwei Lagern, die sich vornehmlich aus den real life übertragenen Vorurteilen herleitet, ziemlich wichtig fürs Spiel und auch für eDeutschland.

Gut, wie kommt man zu dieser Position? Das erfordert weitaus mehr Text als ein paar Zeilen politischer Platitüden. Es gibt drei Aspekte, die wir bei der Links-Rechts Diskussion in unserem Land berücksichtigen müssen.


Aspekt #1 - Transkription
Transskription heißt nichts anderes als Übertragung. Wir alle haben eine mehr oder minder konkrete Vorstellung davon, was Links und Rechts im analogen politischen Alltag bedeuten sollen. Was wir genau darunter verstehen, hängt von unserer persönlichen Einstellung ab. Ein Kommunist wird sich als äußerst Links betrachten und demzufolge verschiebt sich die Einschätzung der restlichen politischen Gruppen. Ein Nationalsozialist würde diese Verschiebung ebenfalls erleben, nur eben in die andere Richtung. Und letztlich trifft das auch auf alle anderen Menschen zu, denn alles gesellschaftliche Leben ist politisch und relativ. Diese Einstellungen werden in das Spiel mitgenommen, wo sie uns dabei helfen Mitspieler zu finden und uns gegeneinander abzugrenzen, damit wir selber wissen, wer wir sind und was wir wollen.


Aspekt #2 - Digital Life = Simple Life
Wenn wir uns mit Hilfe dieser Metainformationen (Meta, weil sie nicht vom Spiel vorgegeben sind) eine Gruppenzugehörigkeit suchen, dann tun wir das also anhand von analogen Einstellungen aus unserem analogen Leben. Kaum jemand von uns nimmt die Mühe auf sich, einen fiktiven Lebenslauf zu erfinden oder einen völlig anderen Charakter darzustellen, als er oder sie wirklich hat. Das ist nämlich auf Dauer sehr anstrengend.

Das Spiel zwingt uns allerdings dazu, unsere mitgebrachten Vorstellungen ein wenig aufzuweichen. Würden wir darauf beharren, die analoge politische Konstellation unserer Herkunfsländer zu rekonstruieren, wäre das zum Scheitern verurteilt. Das Spiel läßt uns zwar Parteien bilden, aber die Mechanismen sind zu grobschlächtig, als daß sich unterschiedliche Strategien anwenden lassen, die ihre Unterschiede aus der poltischen Motivation gewinnen. Statt dessen fangen wir an zu simplifizieren, was dazu führt, daß Links-Mitte-Rechts eine Auflösung erfährt.

Jeder von uns kennt das Problem, daß die Parteien keine einzigartigen Wahlprogamme haben. Und viele bemängeln oder bedauern das auch sehr. Dieser Mangel gründet unter anderem darauf, daß wir gezwungen sind, politische Grundsätze (so vorhanden) ein Stück weit aufzugeben und entpolitisierte Entscheidungen zu treffen. Das Verfahren ist zwar jedesmal demokratisch, bedarf aber keiner Demokraten als Unterbau. Bei den Steuern geht es nicht um ideologische Zielsetzungen, sondern um den maximalen Output für die ökonomischen Akteure (Spieler, Unternehmer, Staat). Bei den Verteidigungsverträgen geht es nicht um die politische Ausrichtung der Regierungen, sondern um instrumentell rationale Entscheidungen über Sein oder Nicht-Sein von Staaten. Es wäre natürlich denkbar, mehr Möglichkeiten im System aufzudecken, aber dazu bräuchte es ein sehr viel höheres Niveau an Spielverständnis und sehr viel mehr Manpower, als wir gegenwärtig im edeutschen Kollektiv aufbringen können.

Was übrig bleibt, ist also unsere reduzierte Form von politischem Verständnis, welches trotz allem immer noch in der Luft hängt. Da es trotzdem unsere realen Überzeugungen sind, beginnen wir damit, diese gegen die Äußerungen anderer Gruppen zu verteidigen, zusätzlich befeuert durch persönliche Antipathie oder Sympathie. Da das analoge Links-Rechts aber nicht greifen kann, bleibt es bei der einzigen Funktion, nämlich der gegenseitigen Abgrenzung. Was natürlich dem Wettbwerb um die aktivsten Mitglieder, die interessantesten Persönlichkeiten und, so banal und unsinnig das letztlich ist, die Machtbeteiligung innerhalb der Regierung nur zuträglich sein kann. Konkurrenz belebt das Geschäft.


Aspekt #3 - Politische Entscheidungen sind niemals ideologiefrei
Im Alltag vergnügen wir uns also damit, Schattenboxerei zu betreiben, weil es unserer Selbstbestätigung dienlich ist und bisweilen auch zu unterhalten vermag. Wahlen, die von politischen Auseinandersetzungen begleitet sind, haben bisher stets eine höhere Wahlbeteilgung aufgewiesen als Wahlen ohne 'Streit'. Letztlich ist es aber Spielerei im wahrsten Sinne des Wortes.

Dennoch dominieren zu bestimmten Zeiten bestimmte poltische Strömungen. Was zunächst kurios erscheint ist jedoch einfach erklärt.

Der politische Herzschlag im Spiel wird nicht von unseren persönlichen Einstellung diktiert, sondern vom Machtpotential, die ein Land gegenüber anderen aufweist. Schwache bzw. spielerarme Länder werden üblicherweise von gemäßigten und linksorientierten Parteien bzw. Personen angeführt. Das liegt daran, daß der duchschnittliche Spieler sehr schnell begreift, daß man als kleines Land auch nur kleine Brötchen backen kann. Gemäßigte, progressiv linke Politik kann das Versprechen von Wachstum und vorsichtigem Manövrieren im internationalen Haifischbecken wesentlich glaubhafter verkörpern als nationalistische Eiferer oder säbelrasselnde Imperialisten, die am liebsten sofort einen Angriffskrieg starten würden, weil das Spiel ja sonst viel zu langweilig wäre (usw).

Setzt ein Babyboom ein oder kommt es zu einer schweren Krise, beispielsweise durch Invasion der eigenen Regionen, gewinnen die aggressiveren Zeitgenossen allerdings wieder Oberwasser. Im Falle eins Babybooms erblühen rasch die Großmachtsträume, die ja tatsächlich auch umsetzbar werden können, so ein Land genug Mitspieler aufweist. Dies läßt sich an fast jedem Land beobachten, welches einen stabilen Bevölkerungszuwachs erlebt und auch mit entsprechender Organisation ausgestattet ist. Die imperialistischen Strömungen werden stärker, während gemäßigte oder linke Gruppierungen an Zugkraft verlieren. Eine Invasion hat einen ähnlichen Effekt, allerdings geht es dann hierbei um die 'nationale Einheit' und 'Patriotismus'. Mit diesen beiden Schlagwörtern wird eine Radikalisierung der Bevölkerung eingeleitet, der zugunsten der konservativen Gruppen verläuft.

Es läßt sich also abschließend bemerken, daß die Labels von 'links' und 'recht', progressiv und konservativ, verräterisch und patriotisch einen nachvollziehbaren Ursprung haben, in den Handlungen des Spiels jedoch nur eine marginale Rolle übernehmen, um die Akteure unterscheidbar zu machen. Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Der Rest sind Staub und Schatten.


"Nun denn, wer will ein Tyrann sein?" - Madame Wu, Schule der Heimatlosen und Bälger